Zwischen Musterentwurf und Objektkunst

Eröffnungsrede von Kunsthistoriker Alexander Stoll zu „Kurt Teubner (1903 – 1990)“ – Sammlung Erzgebirgischer Landschaftskunst, Schloss Schlettau, am 9. Juli 2010 

Als der französische Avantgardekünstler Marcel Duchamp 1913 sein frühestes Ready-made schuf, indem er ein „Fahrrad-Rad“ samt Vordergabel auf einen Küchenhocker montierte, war Kurt Teubner gerade 10 Jahre alt. Duchamp entwickelte in den folgenden Jahren seine Idee weiter. Es folgten der „Flaschentrockner“ und 1917 dann das berühmte Pissoir, welches Duchamp per Signatur zum Kunstwerk deklarierte und damit eine Ikone der Objektkunst schuf. Vom damit einhergehenden Skandal in der Kunstwelt dürfte man in Aue wohl keine Notiz genommen haben – hier wurde geschnitzt und geklöppelt. Wer künstlerische Ambitionen verfolgte, der lernte erst einmal Zeichnen, vor allem Muster für die heimische Textilindustrie. So hat sich auch Kurt Teubner wie viele Künstler aus der Region und seiner Generation die ersten zeichnerischen Fähigkeiten an der „Königlichen Zeichenschule für Textilindustrie und Textilgewerbe“ in Schneeberg erworben.

Teubner entstammte einfachen Verhältnissen, sein Vater war der bekannte Schnitzer Emil Teubner. Aus materieller Not konnte er die Ausbildung an der Zeichenschule nicht ordnungsgemäß abschließen. Schon früh musste er sich mit verschiedenen Tätigkeiten durchs Leben schlagen. Er war Glasmaler in Leipzig und Chemnitz, später Dekorateur, Klischeezeichner und Werbegrafiker u.a. in Düsseldorf, wo er erste Begegnungen mit zeitgenössischer Kunst, so z.B. Otto Dix hatte.

Mit der Weltwirtschaftskrise und durch den Machtantritt der Nationalsozialisten verschärfte sich die wirtschaftliche und persönliche Situation des Künstlers. Hausdurchsuchungen ob seiner KPD-Mitgliedschaft und andere Repressalien aufgrund der jüdischen Abstammung seiner Ehefrau waren an der Tagesordnung.

Später reflektierte er diese Zeit u.a. in der Arbeit mit dem Titel „1933“. Die Naziherrschaft zwang ihn zur inneren Emigration. 1942 folgte durch die „Reichskammer der Bildenden Künste“ das Malverbot, welches freilich so weit als möglich ignoriert wurde. Aus dieser Zeit zeigen wir das in hellen Grautönen gehaltene Landschaftsgemälde, das sehr an Caspar David Friedrich erinnert. Auf der Rückseite hat Teubner einen vielsagenden Zettel aufgeklebt mit der Aufschrift „Ein Bild zum Gut Werden – Weihnachten 1942“.

1944 erfolgte schließlich die Zwangsverschickung zum Festungsbau nach Frankreich. Während der alliierten Invasion gelang ihm die Flucht. Die letzten Monate der NS-Zeit überlebte Kurt Teubner im Versteck mit seiner Frau unter dem Dachboden in Aue.

Diese erste Lebenshälfte waren bewegte und an die Substanz gehende Jahre. Sie ließen Teubner keinen Zweifel daran, dass nun eine andere, bessere Gesellschaftsordnung auf den Weg gebracht werden müsse. Aktiv beteiligte er sich deswegen am kulturellen Neuanfang in Aue. Er gehörte zu den Mitbegründern des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ und organisierte bereits im Herbst 1945 eine erste Ausstellung unter dem Titel „Befreite Kunst“. Als Plakatmaler und Ausbilder von Neulehrern verdiente er sich sein Brot. Ab 1958 konnte er sich dann verstärkt seinem künstlerischen Schaffen widmen. Landschaften, Porträts, Stilleben entstanden von nun an in großer Zahl. In vielen Werken reflektierte er auch seinen bisherigen Lebensweg. Einige Beispiele finden sie auch in dieser Ausstellung.

Kurt Teubner war sein ganzes Leben lang auf der Suche nach dem ihm gemäßen künstlerischen Ausdruck. In der Malerei wechselte er stilistisch zwischen realistischen, bisweilen naiven Tendenzen über expressive Haltungen („Mondnacht“) bis hin zu abstrakt-konstruktiven Experimenten. Ein besonderer Höhepunkt innerhalb des malerischen Schaffens stellt der sogenannte „Kinderbilderzyklus“ aus den frühen 60er Jahren dar. Zeichnungen seines Enkels Peter hat Kurt Teubner hier mit lockerer Hand, viel Witz und Esprit in eine wunderbare Folge übertragen.

Ab Anfang der 70er Jahre fand Teubner zunächst zur Collage, im weiteren Verlauf dann verstärkt zur Assemblage, d.h. dem dreidimensionalen Materialbild. Von nun an entstanden in einem unermüdlichen Schaffensrausch zahlreiche solcher Arbeiten, die ihm bald überregionale Aufmerksamkeit einbrachten und die man auch heute noch mit dem Namen Teubner verbindet.

Mehrmals sorgte eine Assemblage des damals ja schon recht betagten Künstlers aus Aue auf den großen Kunstausstellungen der DDR in Dresden für Diskussionen – sowohl bei der offiziellen Kritik als auch beim Publikum. Dem 1982/83 in Dresden ausgestellten „Kellerstilleben“ bescheinigte der Kunsthistoriker Lothar Lang die größte Kopfschüttelquote bei den Besuchern.

Das provokatorische Potential liegt in unseren Tagen wohl nicht mehr so hoch wie damals, aber die Assemblagen haben eigentlich nichts von ihrem Reiz verloren. Im Gegenteil, mit größerem zeitlichen Abstand zu den von Teubner verwendeten Dingen wächst auch die historische und kulturgeschichtliche Bedeutung einzelner Objekte. Jüngere Generationen dürften in dieser Ausstellung wohl ihre erste Begegnung mit einem Fliegenschrank oder einer Kartoffelmiete haben.

Überschaut man diesen beachtlichen Teil des Oeuvres, so stellen sich Zweifel ein, ob es im Hause Teubner am Ende überhaupt noch Hausrat, Werkzeug oder Mobiliar gab. Denn es scheint, dass alles, was dem Künstler in die Hände kam, zersägt, angepasst und mit geschickter Hand in einen Holzrahmen komponiert wurde, und das Tag für Tag. Sei es die Herdplatte oder das Bügelbrett, der Küchenschrank oder eine Fischkiste des VEB Fischereikombinates Rostock – nichts war zu gering, um nicht in seine Kunst hineingenommen zu werden.

Teubner wollte keine Kunst allein um der Kunst Willen. Aufmerksamkeit um jeden Preis zu erheischen lag ihm ebenso fremd, wie alles Marktkalkül. Teubner ging es um die Ästhetik des Unscheinbaren, um die Dinge an sich, und um die Geschichten, die mit ihnen verbunden sind. Dazu brauchte er keine spektakulären Bildgegenstände. Das, was er erzählen wollte, fand er in alten Schränken, ausgetretenen Filzschuhen oder verbeulten Blechnäpfen. Getragen von seinem feinsinnigen Humor und einer Prise Melancholie gelangen Kurt Teubner originelle erzgebirgische Stillleben voller Authentizität – und das ganz direkt ohne den Umweg eines gemalten Abbildes, sondern in Fortführung eines Weges der Objektkunst, wie ihn Duchamp, Kurt Schwitters oder Robert Rauschenberg bereitet haben.

Wenngleich die Assemblagen künstlerisch und auch handwerklich weit entfernt von Teubners Ausbildung zum Musterzeichner liegen, so findet man im Kompositorischen stets ein gewisses Ordnungsprinzip wieder, ebenso die gezielte Auswahl eines bestimmten und wirkungsvollen Ausschnittes und mitunter auch einen Hang zum Dekor.

Aus den Assemblagen spricht aber auch eine eindeutige Verbindung zu seiner erzgebirgischen Herkunft – wo das Basteln und Tüfteln seit Generationen eine besondere Verbreitung hat. Diesen spielerischen Impuls spürt man den Arbeiten an, und das verleiht ihnen ihre Selbstverständlichkeit, ihre Souveränität.

Viele seiner Arme-Leute-Stilleben bewahren ein Stück liebenswürdiges Erzgebirge, ohne in romantische Verklärung oder zweifelhafte Folklore abzudriften.